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Wohin steuert Angela Merkel?

PR dla Zagranicy
Joachim Ciecierski 19.11.2018 10:36
Angela Merkel gibt zu, dass Deutschland im Energiebereich eigene Interessen verfolgt. Und Tauwetter auf der Linie Warschau-Luxemburg. Mehr zu diesen Themen heute in der Presseschau.
Angela MerkelAngela MerkelPAP/ EPA/LUDOVIC MARIN / POOL MAXPPP OUT

Gazeta Polska Codziennie: Wohin steuert Angela Merkel?

In Bezug auf Nord Stream 2 habe Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede vor dem EU-Parlament endlich zugegeben, dass auch Deutschland seine partikulären energetischen Interessen habe, schreibt in der regierungsnahen Tageszeitung Gazeta Polska Codziennie der EU-Abgeordnete der Recht und Gerechtigkeit Ryszard Czarnecki. In ihrer Antwort an den Ko-Vorsitzenden der Konservativen und Reformatoren Ryszard Legutko, der den Bau der Gaspipeline kritisiert habe, erinnert Czarnecki, habe Merkel eingeräumt, dass Deutschland in Bezug auf die Energetik immer seine Interessen gehabt habe und haben werde. Und es sei gut, so der Autor, dass die Kanzlerin endlich auf leere Floskeln über europäische Einheit verzichtet und zugegeben habe, dass Berlin sich - was keinen überraschen sollte - um seine eigenen Interessen sorgt.

Im Grunde genommen, so Czarnecki, mache das den Dialog viel einfacher - Berlin spreche über seine Interessen, Warschau über seine, andere Hauptstädte über ihre und das befreie alle von der Augenwischerei und den Zauberformeln über europäische Solidarität. Einer Solidarität, die bisher vor allem als Knebel fungierte, der die Realisierung der eigenen Interessen durch andere Staaten als Frankreich und Deutschland blockierte. Es sei ironisch, so Czarnecki, dass Merkel in demselben Auftritt, in dem sie das Recht Berlins zur Verteidigung der eigenen Interessen hervorgehoben habe - die im Widerspruch mit u.a. dem Interesse Polens, der baltischen Staaten und Skandinaviens stünden - trotzdem auch den rituellen Appell um “europäische Solidarität” in Bezug auf die Migrationspolitik hineingeschmuggelt habe. Wie man sehe, so der Autor, sei politische Schizophrenie manchmal nützlich - unter der Bedingung, dass sie mit den Interessen desjenigen im Einklang sei, der von ihr profitiere.

Charakteristisch sei auch, lesen wir weiter im Kommentar, dass Merkel von den Chefs der politischen Gruppierungen, die auf ihren Auftritt Bezug nahmen, weitgehend verschont worden sei. Dies, so Czarnecki, sei insofern nicht überraschend, als dass von neun Chefs der politischen Gruppierungen, zwei Drittel Deutsche seien.

Interessant, so Czarnecki, sei auch, dass Merkel die Idee einer europäischen Armee unterstützt habe. Und hier stecke der Teufel im Detail. Eine solche europäische Armee könnte potentiell die NATO schwächen, was nicht in polnischem Interesse sei. Man könne auch den Verdacht haben, dass die Kanzlerin die Funktion der europäischen Armee vor allem darin sehe, der deutschen und vielleicht auch der französischen Rüstungsindustrie mehr Aufträge zu garantieren.

Angela Merkel, so das Fazit des PiS-Politikers, gebe den Kampf nicht auf, obwohl ihre Position nie schwächer gewesen sei, als heute. Ihre Probleme in Deutschland könnten allerdings auch potentiell ein Sprungbrett für eine europäische Karriere liefern. Es bleibe offen, was für Polen eigentlich die bessere Lösung sei, so Czarnecki in der Gazeta Polska Codziennie.

Rzeczpospolita: Erzwungenes Tauwetter

Es werde eher nicht zu einer Verschärfung des Konflikts zwischen Polen und dem Europäischen Gerichtshof im Streit um die Justizreform kommen, schreibt in seinem Kommentar für die konservative Rzeczpospolita der Publizist Tomasz Pietryga. Dies, so der Autor, könne man aus der Anhörung polnischer Regierungsvertreter in Luxemburg am Freitag schlussfolgern. Die Botschaft dabei sei klar gewesen: Polen würdige die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Rückkehr von 22 Obersten Richtern, die vorzeitig in den Ruhestand geschickt worden seien und werde bis zum endgültigen Urteil keine neuen Richter mehr einstellen.

Einziger Konfliktpunkt, lesen wir, bleibe die Form, in der die “alten” Richter wiedereingestellt werden sollen. Laut dem Europäischen Gerichtshof reiche seine Entscheidung als Rechtsgrundlage für diesen Schritt, laut der polnischen Regierung indes, sei die Verabschiedung eines speziellen Gesetzes notwendig. In diesem Punkt, so Pietryga, habe die PiS vielleicht sogar recht. Ein neues Gesetz würde den Rückzug aus der Rentenreform im Obersten Gerichtshof von politischen Fluktuationen unabhängig machen. Dieser Meinungsunterschied zwischen Warschau und Luxemburg, betont der Autor, sei jedoch inhaltlicher Natur und finde im Rahmen des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof statt. Von einer Anzweiflung der Kompetenzen des EU-Organs oder Versuchen, das Verfahren zu ignorieren, könne keine Rede sein.

Die polnische Regierung, lesen wir weiter, scheine in diesem Konflikt heute so kompromissbereit, wie nie zuvor. Grund dafür seien die Probleme der Partei in der Innenpolitik. Die Kommunalwahlen hätten gezeigt, was für eine starke politische Waffe der Vorwurf eines möglichen Polexit gegenüber der Regierung sein könne und schon heute sei klar, dass dies das wichtigste Thema der Kampagne zum EU-Parlament sein werde. Die PiS habe also nur wenige Monate, um die Vorwürfe zu entschärfen. Eine Aufheizung des Konflikts um die Justizreform würde diesem Ziel im Wege stehen.

Es, so Pietryga, sei auch erwähnenswert, dass der Oberste Gerichtshof weitestgehend sowieso schon so funktioniere, wie es sich die Regierung vorgestellt habe: mit zwei neuen Kammern - der Disziplinärkammer und der Kammer zur Außergewöhnlichen Kontrolle und mit fast 40 neuen Richtern aus dem neuen Auswahlverfahren. Die Anwesenheit von 22 neuen Richtern, die bald sowieso in den Ruhestand versetzt werden (auch wenn Kraft der alten Vorschriften), sei entschieden zu wenig, um den Erfolg der nächsten Wahlen zu riskieren. Auch die Affäre um die Finanzaufsichts-Kommission werde die Energie der Regierung nun in andere Gebiete lenken. Fazit: Die Gerichte seien für die PiS nicht mehr Thema Nr. 1, schreibt in seinem Kommentar für die Rzeczpospolita der Publizist Tomasz Pietryga.

Autor: Adam de Nisau
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